«Ist der Stängel kantig und rau, heisst die Pflanze Bärenklau (Heracleum). Ist er aber rund, der Stängel, ist der Wurz vom Engel«.
Diesen Merkspruch hat mir kürzlich ein netter Herr mit auf den (Wald-)Weg gegeben, um die beiden ähnlich aussehenden Pflanzen auseinanderzuhalten. Zur Zeit können wir die Dolden der Wald-Engelwurz, schwer beladen mit Samen, bestaunen. Mancherorts aber mag sie noch blühen, denn die Blütezeit dauert bis in den September, je nach Standort.
Die Wald-Engelwurz (Angelica sylvestris) ist sozusagen die kleine Schwester der Echten Engelwurz (Angelica archangelica), einer altbewährten grossen Heilpflanze, sie wächst jedoch schlanker und weniger hoch als diese und riecht auch weniger stark als die Echte Engelwurz. Zudem sind die Blüten der Wald-Engelwurz manchmal leicht rötlich angehaucht. In Botanikbüchern (Flora Helvetica) wird sie auch als Wilde Brustwurz bezeichnet.
Bis jetzt war es mir noch nicht vergönnt, der Echten zu begegnen, zumal die Wald-Engelwurz bei uns viel häufiger vorkommt.
Über die Heilkraft der Wald-Engelwurz findet man Widersprüchliches. Während die einen ihr jegliche Heilkraft absprechen und diese ausschliesslich der Echten Engelwurz (Angelica archangelica) vorbehalten, steht andernorts doch: «Auch der Wald-Engelswurz werden heilende Wirkungen nachgesagt, jedoch wird von einem Sammeln in der Natur aufgrund von Verwechslungen mit ähnlich aussehenden, giftigen Doldenblütlern abgeraten.« (Flora di berna). Andere Quelle raten wegen dieser Verwechslungsmöglichkeiten sogar DRINGEND davon ab.
Allgemein wird empfohlen, beim Hantieren mit Engelwurz Handschuhe zu tragen, da ihr Saft bei Berührung Hautreizungen hervorrufen kann.
Die Blätter der Wald-Engelwurz sind auffällig gross (Spreite bis 60 cm lang) und im Umriss dreieckig wie hier abgebildet.
Mit Sicherheit aber ist die Wald-Engelwurz von grossem ökologischen Wert. So sind die reifen Samen eine willkommene Vogelnahrung und die standfesten Stängel bieten im Winter eine gute Überwinterungsmöglichkeit für Insekten.
Die mehrjährige, prächtige Wildpflanze ist zudem eine wichtige Raupenfutterpflanze für den Schwalbenschwanz und die Blüte wird unter anderem von der Gehörnten Maskenbiene, Kahrs Maskenbiene, Gezeichnete Maskenbiene, Alfkens Zwergsandbiene, der Bärenklau-Sandbiene sowie von Schwebfliegen und Käfern besucht (Future planter).
Die sehr grossen, bauchig aufgeblasenen Blattscheiden füllen sich mit Wasser und können ebenfalls Lebensraum von Kleinlebewesen sein.
Wer sich die Wald-Engelwurz in den Garten holen möchte, der sollte wissen, dass die Wald-Engelwurz feuchte und halbschattige Standorte bevorzugt. An sonnigen Plätzen benötigt sie einfach mehr Wasser.
Immer wieder amüsant zu lesen, die regional gebräuchlichen Trivialnamen für die Wald-Engelwurz (Wikipedia):
Wild Angelica, Angeliken (Mecklenburg), Angolkenwörtel (Altmark), Baumtropfen (Graubünden), Beeriblosa (St. Gallen, Werdenberg), Blasröre (Bern, Glarus), Brustwurzel, Büchel (Graubünden), Buchalter, Dudla (St. Gallen, Oberrheintal),Geissfuss, Giers, Guga (St. Gallen bei Sargans), Hirtenpfiff (mittelhochdeutsch), Läuskraut (Eifel bei Kerpen), Ledepapencruyd, Ledepipencrud, Ledespypenkrud, Ledpfeifenkraut, Luftwurz, Piffencrud, Pipencrud, Schoter (Henneberg), Spickrohr (Bern, Glarus), Spitzguga (St. Gallen, Sargans), Spritze (Bern, Glarus), Sprotza (St. Gallen), Waldröre (St. Gallen) und Wundkraut