Vom St. Nikolaus und der Frage: Was ein Brauch ist, wie er entsteht und sich wandelt

Jetzt fragt ihr euch vielleicht durchaus zurecht, «was ist denn das für ein St. Nikolaus-Bild!? Von der Gaby hätte ich jetzt aber ein Bild aus dem Wald, mit dem Samichlaus, dem Schmutzli und seinem Esel, erwartet».

Doch mal abgesehen davon, dass ich einst leidenschaftliche Harley-Soziusfahrerin war, geht es in meinem heutigen Beitrag genau darum, wie Bräuche entstehen können, aber sich auch wandeln können.

Mein Naturtagebuch steht nicht nur für alles, was sich gerade so draussen vor Haustüre, in der Natur abspielt, sondern immer wieder mal auch für Brauchtümer im Lauf der Jahreszeiten. Gerade die ländlichen Bräuche versprechen der Landbevölkerung mittels ihren Ritualen Schutz und Segen, für Mensch und Tier, Ernte, Haus und Hof. Sie stammen aus Zeiten, wo es noch keinen Hausarzt gab, keine Versicherungen. Man war abhängig von der Natur und musste sich in Zeiten der Not und Krankheiten selber zu helfen wissen.

Nun steht aber der heutige Brauch des St. Nikolaus nicht in Zusammenhang mit dem Jahreskreislauf der Natur, sondern stellt als kirchlicher Brauch in diesem Fall auch einen pädagogisierenden Aspekt dar. Auszug aus dem Buch «Verschwundene Bräuche» von Helga Maria Wolf:

«Dass ein kostümierter Nikolausdarsteller die Familien aufsuchte, entsprach den vom Konzil von Trient (1545-1563) geforderten, systematisch durchzuführenden Pastoralvisiten der Bischöfe. Die Gestalt des Bischofs als Gabenbringer, der die Kinder prüfte, aber nie selbst strafte, wurde oft von einem dunklen Gehilfen (Krampus) begleitet. Die guten Taten der Kinder waren im Goldenen Buch verzeichnet.»

Bei uns in der Schweiz ist die dunkle Gestalt an der Seite vom «Samichlaus» der Schmutzli, eine dunkel gewandete Gestalt, die anstelle der Geschenke wenn nötig auch mal Ruten verteilte. Meinen Bruder versuchten sogar einmal zwei Schmutzli in den Sack zu stecken und mitzunehmen, weil er nicht brav war. Es blieb beim nicht ganz ernst gemeinten Versuch.

Da geht es in Teilen Österreichs noch heute recht wild zu und her. Krampusse, schaurig schöne, wilde Gesellen, mit zotteligen langen Fellen und «gfürchigen» Hörnern, mit brennenden Fackeln und «bewehrt» mit grossen Reisigbesen, ziehen an Umzügen durch die Dörfer und erschrecken noch heute vor allem junge Leute.

Übrigens: Der Nikolaus von Mira (Dembre/Türkei, gestorben um 350), war Bischof von Lykien. Er soll sein ganzes reiches Erbe nach dem Tod seiner Eltern an die Armen verschenkt haben.

Gemäss H.M Wolf sind die Gründe für die Entstehung von Traditionen vielfältig. Oft kommen da einige zusammen «wie wirtschaftliche Notwendigkeiten, religiöse Gebote, ungeschriebene Gesetzte oder psychologische Ursachen.» Bräuche würden aber auch laufend veränderten Gegebenheiten angepasst, einzelne Elemente verschwinden, verbinden sich mit anderen und es entsteht wieder etwas Neues: «Bräuche sind flexibel und hybrid» und nicht ewig – und auch nicht immer schön.

Einige leben aber auch wieder von Neuem auf, wie die aktuelle Trachten-Renaissence zeigt (selbst in die Schweiz wurden die Wiesn-Feste zum Renner, obwohl dort hauptsächlich kostengünstigere Dirndl und nicht etwa teure Trachten getragen werden). Auch das Pilgern auf dem Jakobsweg ist wieder angesagt, immer mehr Prominente machen sich dabei öffentlichkeitswirksam (verbunden mit Büchern die sie darüber schreiben, oder Filmen) auf den Weg.

Hinzu kommt in Zeiten der Globalisierung und dem world wide web, dass geografische Grenzen eine immer unbedeutendere Rolle spielen und somit hiesiges Brauchtum durch Elemente aus anderen Kulturkreisen ergänzt, mit ihnen vermischt werden. Da wird beispielsweise seit Langem vielerorts bei Weihnachtsdekorationen der heimische Esel, als Begleiter des Samichlaus, durch ein Rentier ersetzt.

Tatsache ist, dass im gesamten Alpenraum – über die deutsch/schweizerischen-österreichischen Grenzen hinweg – viele der Bräuche vom (katholischen) Festkalender der Kirche bestimmt sind. Oft noch ergänzt respektive vermischt mit Überbleibseln von Ritualen aus vorchristlicher Zeit, welche die Kirche trotz allen Bemühungen nie ganz zum Verschwinden gebracht hat.

«Es zeigt sich, dass das weite Feld des Aberglaubens, fliessende Grenzen zum kirchlich vermittelten Glauben aufweist». Vieles davon mag für uns Heutige sehr skurril erscheinen, in Zeiten von Blitzableiter, Hagelversicherungen und Kunstdünger. Und viele mögen sich fragen: Was bitte soll denn da noch das Wetterleuten und das Wetteramulett/Wettersegen (Bild), der Feldersegen, das Karfreitagsei, das im Dachstock vor Blitzeinschlag schützen soll?

Diese althergebrachten, von Generation zu Generation tradierten Rituale, öffnen ein Fenster in die Vergangenheit. «Der Blick durch dieses kann beitragen, Verständnis für die Alten und das Alte zu wecken, damit es nicht verloren geht

In diesem Sinne und mit einem alten Samichlaus-Sprüchli, wünsche ich euch einen schönen heutigen St. Nikolaustag:

«Sami Niggi, Näggi, hinder em Ofe stegg i, gimer Nuss und Bire, so chumm i wieder füre.» (Wobei, nur mit Nüssen und Birnen, sind wohl Kinder heute kaum mehr hinter dem Ofen hervorzulocken).

Gaby Kistler

Quelle Informationen: «Verschwundene Bräuche – Das Buch der untergegangenen Rituale» von Helga Maria Wolf, dem ich auch die im Beitrag vorkommenden Zitate entnommen habe.