
Gestern erwähnte ich die unterschiedlichen Blattformen am Efeu, doch auch andere Pflanzen weisen diese Eigenart auf. Bei der Stechpalme steckt hinter der unterschiedlichen Blattgestaltung ein triftiger Grund:
Beobachtet eine Stechpalme (Ilex aquifolium) die zur Zeit wieder wunderbar mit rot leuchtenden Beeren dekoriert ist und ihr werdet feststellen, bei ihren Blättern heisst es: Unten mit und oben ohne, Stacheln.
Im unteren, bodennahen Teil der Stechpalme, sind die ledrigen, dunkelgrün glänzenden Blätter ausgesprochen stachelig gezähnt. Je höher es aber an der Pflanze hinaufgeht, desto mehr nehmen die Stacheln ab und im obersten Teil des Strauchs fehlen sie meistens gänzlich. Dort erinnern die Stechpalmenblätter eher an jene eines Lorbeerstrauchs.
Wer sich dieses Bild genau anschaut, kann die Wandlung von stacheligen Blättern in Bodennähe, bis hinauf zu stachellosen Blättern gut erkennen.


Der Grund liegt darin, dass Stechpalmenblätter beim Wild – insbesondere bei Rehwild – sehr begehrt sind und es sich bei den Stacheln um einen Frassschutz handelt. Aber der wird nur dort ausgebildet, wo er auch vonnöten ist, was ab einer gewissen Höhe nicht mehr der Fall ist. Manchmal aber wird die Stechpalme vom Wild trotzdem stark verbissen, für so eine Delikatesse, scheint man auch ein paar lästige Stacheln in Kauf zu nehmen.
Wie fast alle Bäume und Sträucher in unserem Garten, waren auch bei den Stechpalmen die Vögel für ihre Pflanzung verantwortlich. Die sind wirklich schlau, bauen sich ihr Futter gleich selber an. Heuer (dieses Jahr) gibt es wieder besonders viele der leuchtend roten Früchte, die für uns Menschen stark giftig sind. Den Vögeln bekommen sie bestens, sie streiten sich jeweils heftig um sie, vor allem die Amseln. Auch Drosseln kann ich häufig beim Futtern der Beeren beobachten. Aber es seien trotzdem lediglich 12 Vogelarten in Mitteleuropa bekannt, die Stechpalmenbeeren fressen (im Vergleich: die viel beliebtere Vogelbeere wird von 63 Vogelarten gefressen).


Ein Rätsel habe ich jedoch noch nicht lösen können: Während unsere Stechpalme jedes Jahr – sofern sie Beeren trägt – innert Kürze leergeplündert wird, steht sie andernorts noch oft bis im Frühling voll behangen mit verschmähten Früchten da (das Bild mit dem Bauernhaus stammt von anfangs März). Dieses Phänomen kann ich in Siedlungen, aber auch mitten in Wäldern beobachten. An der unterschiedlichen Verfügbarkeit von Futter kann es nicht liegen.
Etwas, was vielerorts geschrieben wird, kann ich aus eigener Erfahrung und jahrzehntelanger Beobachtungen überhaupt nicht bestätigen: Zumindest bei unserer Stechpalmen ist es nämlich keinesfalls so, dass die Vögel die Stechpalmenbeeren erst nach dem ersten Frost verspeisen. Wir sind jetzt, anfangs Oktober, noch weit von Frosttemperaturen entfernt und trotzdem machen sich bereits die ersten Vögel über sie her. Wie jedes Jahr, wird die Stechpalme nun innert kurzer Zeit leergefressen werden, lange vor dem ersten Frost.


Die Stechpalme ist übrigens auch ein wichtiges Vogelschutzgehölz, da sie mit ihren stacheligen Blättern Fressfeinde abhält. Das weiss auch die Vogelwelt zu schätzen und insbesondere Kleinvögel wie das Rotkehlchen benutzen sie gerne als sicheren Schlafplatz. Zudem wählen Zitronenfalter die Stechpalme bevorzugt als sicheren Überwinterungsplatz aus (genauso wie übrigens Efeu).
Alles in allem ist die Stechpalme in jeder Hinsicht ein Gewinn für jeden Garten – obwohl selbstverständlich auch ich nicht immer mit grösster Freude die vielen Sämlinge auszupfe. Aber Hey! Wer hat gesagt, dass ein Garten keine Arbeit gibt? Dafür gibt mir die Stechpalme so viel Freude zurück, im Frühling während der Blüte und jetzt, wo sie vor der Eibe – mit ihren ebenfalls roten Früchten – so wunderschön aussieht.
