
Als ich an unserer Kiefer zum ersten Mal das Phänomen der Physiologischen Nadelschütte festgestellt hatte, war ich wirklich erschrocken. Man verbindet ja gelbe Nadeln in der Regel damit, dass irgendetwas (Krankheit, Trockenheit) mit dem Baum nicht in Ordnung ist. In diesem Fall aber konnte ich beruhigt sein:
Es handelt sich hier um einen wiederkehrenden natürlichen Prozess.
Auf diesem Bild seht ihr die physiologische Herbstschütte an der Kiefer (Föhre/Pinus sylvestris). Sie erfasst unter normalen Bedingungen 3- bis 4jährige Nadeln, kann jedoch unter Einwirkung von Witterungsextremen und Luftschadstoffen verstärkt auftreten. In solchen Fällen werden dann auch mal jüngere Nadeljahrgänge in Mitleidenschaft gezogen.
Meistens werden diese gelben Nadeln beim nächsten Herbststurm fortgerissen, so geschehen gestern, als «Benjamin» über das Land fegte: Vorgestern noch voll mit leuchtend gelben Nadeln, steht die Kiefer heute wieder in ihrem grünen Nadelkleid da. Sämtliche gelben Nadeln hat der heftige Sturmwind von den Zweigen gerissen. Neue Nadeln werden sich im Frühjahr an den Triebspitzen bilden, nicht aber dort, wo die alten abgefallen sind.


Diese Physiologische Nadelschütte durchlaufen auch andere Nadelbäume: Fichte, Tannen und Eiben. Ausgenommen ist hier natürlich die Lärche (Larix), die bekannterweise als einziger Nadelbaum im Herbst ihr ganzes Nadelkleid abwirft und im Frühling komplett erneuert.
Da wir zwei Eiben im Garten stehen haben, kann ich auch hier das Phänomen des Nadelaustauschs jeweils vor Ort beobachten (Bild). Die letzte Nadelschütte war Ende Mai/Juni (anders als bei unserer Kiefer, wo die Physiologische Nadelschütte jeweils im Oktober stattfindet).
Wie lange die Nadeln jeweils am Baum verbleiben, hängt von der jeweiligen Baumart, aber auch stark vom Standort ab:
«Je kühler die Temperaturen, umso länger bleibt eine Nadel am Baum. Im Mittelland zum Beispiel bleiben die Nadeln nur 6 bis 7 Jahre am Baum, bevor sie abgeworfen werden. In den mittleren Berglagen des Juras und der Voralpen bleiben sie 8 bis 10 Jahre, und in den Alpen sogar 9 bis 20 Jahre.
Im Mittelland muss eine 30m hohe Fichte jedes Jahr 1.2 bis 1.5 Millionen Nadeln neu bilden, damit sie immer gleich viele Nadeln hat.» (WSL)
(Das Bild zeigt die Kiefer)

ABER: Mal abgesehen von der Physiologischen Nadelschütte, gibt es natürlich auch einige andere Gründe, weshalb sich Nadeln gelb respektive braun verfärben können. Besondere Witterungsbedingungen können zum Beispiel optimale Bedingungen schaffen für die Entstehung einer parasitären Schütte, ausgelöst durch verschiedene Schüttepilz-Erreger. Ein gutes Beispiel dafür war in unserem Dorf dieses Jahr die Lärchenschütte an mehreren Lärchen. Die Lärchenschütte wurde ausgelöst durch einen Schüttepilz, der die Nadeln bereits ab August hat braun werden lassen. Doch darüber werde ich in einem separaten Beitrag schreiben.
Ein paar «philosophische Gedanken» zum Schluss: War schon eindrücklich, wie der Herbststurm gestern alles mit sich gerissen hat, das nicht «niet- und nagelfest» war. Und ich dachte mir, wie das wäre, wenn er nicht nur bei den Bäumen und Sträuchern, alles Verdorrte, Abgestorbene, Überflüssige und zu Erneuernde mit sich gerissen hätte, sondern im übertragenen geistigen Sinn auch bei den Menschen. – Nun ich konnte es gestern nicht lassen und musste einfach nach draussen, auf eine offene Waldwiese stehen – natürlich fern von den Bäumen – und mir den Regen ins Gesicht peitschen lassen, die Kraft des Windes am Körper spüren. Die Augen schliessen und mich im Wind wiegen lassen wie die Bäume. Dann, wenn ich die Elemente am Körper spüre, fühle ich mich der Natur stets am engsten verbunden. In solchen Momenten bin ich eins mit der Natur.
Quellen: Für den heutigen Beitrag bezog ich meine sachlichen Informationen beim WSL (Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft Schweiz) und der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg/Abteilung Waldschutz.


