Kindheitserinnerungen – Leben auf dem Bauernhof

Ich habe eine Vorliebe für alte Bauernhöfe.

Dafür gibt es viele Gründe. Sind sie noch intakt, so weisen sie oft sehr alte, prächtige Baumbestände auf, die Haus und Hof schmücken. In diesem Fall hier sind es eine riesige, uralte Linde, welche beim Haus steht und ein Nussbaum bei der Scheune.

Ein weiterer Grund jedoch ist auch die Tatsache, dass ich auf eben so einem Hof viele unbeschwerte , glückliche Stunden in meiner Kindheit verbringen durfte.

Fassaden alter Bauernhäuer sind oft wie in diesem Fall mit Rosen oder aber mit Trauben bewachsen. Als ich noch ein Kind war, wuchs hier zusätzlich zu den Rosen noch eine Rebe der Fassade entlang. Mein ganzes Leben lang habe ich später nie wieder so feine, süsse Trauben gegessen, wie diese es waren. Dank diesen Reben gelang es den Katzen in die Schlafkammer der Bauersleute zu gelangen, wenn das Fenster offen stand. Ich höre noch heute die Bauersfrau schimpfen, wenn die Katzen in ihrem Bett mal wieder Junge zur Welt gebracht haben.

Die alten Scheunen boten noch Lebensraum für sehr viele Tierarten. Fledermäuse beispielsweise und Schwalben, die in ihnen Nistplätze und Nahrung fanden. Das ist heute, bei den kompakt gebauten, modernen Scheunen kaum mehr möglich. Ja es werden sogar extra Geräte eingesetzt, die elektronische Greifvogelrufe von sich geben, welche die Schwalben fernhalten sollen. Unbeliebt ist wohl ihr Kot, dabei hiess es einst, Schwalben bringen Glück in den Stall. Man vermutet heute, weil diese die Fliegen im Stall dezimierten und damit auch deren Übertragung von Krankheiten auf das Vieh.

Ich kannte einen älteren Bauern, der liess die Stalltore stets einen spaltbreit offen, damit die Schwalben ein und ausfliegen konnten. Seit ein neuer Pächter bewirtschaftet, bleiben auch diese Stalltore verschlossen.

Meine Grosseltern waren zwar Bäckersleute, doch ich habe nach deren Pensionierung meine halbe Kindheit auf dem benachbarten Bauernhof verbracht. Nachdem wir beiden Kinder getrennt worden waren, wurde ich zum Einzelkind und spielte deshalb oft im Viehstall, mit Stroh, den jungen Kätzchen. Ich tat es ihnen gleich und trank die frische, noch lauwarme Milch mit einem Schäumchen drauf. Es gab nichts Besseres.

Da das benachbarte Paar kinderlos geblieben ist, waren sie froh um jede Mithilfe auf dem Hof und ich konnte mir oft ein paar Batzen verdienen. Insbesondere im Herbst bei der Obsternte waren sie dankbar für jede helfende Hand. Da galt es die vielen «Trübler» vom Boden aufzulesen und in den Ladewagen zu kippen. Trübler, das waren die eher kleinen, rundlichen Mostobstbirnen der vielen alten, riesigen Hochstammbäume. Heute stehen sie alle nicht mehr, mussten wegen Feuerbrand, einer Bakterienkrankheit gefällt werden. Im Nachhinein munkelt man, seien die lieben Experten da wohl etwas gar zu voreilig gewesen und es seien unnötigerweise Tausende von wertvollen, alten Hochstammobstbäumen gefällt worden.

Jänu, sie sind nun halt für immer weg und mit ihnen verschwand auch der Kuckuck. In meiner Kindheit hiess es immer: «Wenn der Kuckuck ruft, solltest du einen Batzen im Hosensack haben, dann wirst du danach das ganze Jahr über viele Batzen haben». Wenn nicht, tja dann wirst du Geldprobleme bekommen.

Vorbei ist es seither auch mit den vielen, grossen Wiesenchampignons, die ich im Mai jeweils mit Grossvater unter den grossen Hochstammobstbäumen sammeln konnte. Mmmh, die waren so fein und keiner konnte sie so gut zubereiten wie mein Grossvater.

Schliesslich gab es da noch auf jedem Hof einen «Blässli», den Hofhund. Das ist ein eher traurigeres Kapitel, genauso, wie man mit überzähligen, jungen Katzen umgegangen ist. Der Hofhund, «Zotti» hiess er, war 24 Stunden an der Kette. Nur einmal, und zwar am Abend, wenn die Hühner wegen des Fuchses in den Stall gesperrt wurden, liess ihn die Bäuerin in den leeren Hühnerhof, wo er sich austoben konnte. Oh wie ist der Arme dann wie ein Irrer einfach pausenlos im Kreis herumgerannt, bis er keinen Atem mehr hatte und wieder an die Kette musste. Das sehe ich vor mir wie es heute wäre. Hat mich bereits als Kind traurig gemacht. Einmal, das vergess› ich natürlich auch nicht mehr, hat er mich in den Hintern gebissen, als ich der Kette zu nahe kam.

Meine Latzhose hatte einen «Riesenschranz» und die Grossmutter gar keine Freude. Aber es war ja klar, dass solche Kettenhunde mit der Zeit aggressiv wurden.

Heute ist es für die Bauern schwierig geworden, einen Hofhund zu halten. Die Kette ist zu Recht schon lange nicht mehr erlaubt. Aber das freie Leben, wie es die Hofhunde danach einst geniessen konnten, einfach den ganzen Tag etwas um das Gehöft herumhängen, vielleicht ab und zu mal einem entlaufenen Huhn nachrennen und beim Vieheintrieb helfen, ist auch vorbei. (Die Bilder zeigen Gäste meiner Hundepension, typische Hofhundrassen)

Im Gegensatz zu früher sind heute viele Menschen in ihrer Freizeit in der Natur unterwegs, auf Bikes, am Joggen, Nordic walken, spazieren, wandern und passieren dabei auch entlegenste Höfe und Alpen. Kommt dann ein Hofhund gerannt und verbellt die Freizeitaktivisten, gibt’s Ärger für den Bauern. Anbinden geht nicht mehr, frei laufen lassen vielenorts wegen Reklamationen von «naturliebenden Spaziergängern» hingegen auch nicht mehr, genauso wenig wie eine Zwingerhaltung. Aus diesen Gründen haben viele Bauern schon gar keine Hofhunde mehr.

Ein Grossereignis im Jahreskreislauf war auf dem benachbarten Bauernhof für mich als Kind stets auch die «Saumetzgete», wenn das Hausschwein geschlachtet wurde. Das geschah im Winter, denn ich weiss noch wie es jeweils gedämpft hat in der Kälte draussen, wenn das tote Schwein in einem Bottich mit heissem Wasser gewaschen und ihre Borsten entfernt worden sind. Wer auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, oder vielleicht mit Hauskaninchen die zur Fleischverwertung gehalten worden sind, der wusste bereits als Kind, dass dem Fleisch in der Metzgerei stets der Tod eines Tieres vorangegangen ist. Nach der Schlachtung der Sau ging ich in die alte Bauernküche, wo ich der Bäuerin half frische Kräuter und Zwiebeln für die Herstellung der Blutwürste zu schneiden.

Damals wurde ja vom Tier praktisch alles verwertet. Wer heute Fleisch isst, will aber oft nur noch die delikatesten und edelsten Fleischteile essen, am besten alles nur noch Filets und Entrecotes. Die gehen halt auch schnell zum zubereiten, nicht wie Slowfood. Damals kochte meine Grossmutter oft «Grick», also Lunge, mit Mais als Beilage, oder Kutteln mit Kümmel. Beides sieht man heute nicht mehr in den Auslagen von Charcuterien, es gilt als minderwertiges Fleisch, «Arme Leute – Essen». Heute sind wir ja alle so reich, da müssen wir sowas nicht mehr essen…. (Ironisch gemeint)

Tempi passati, ich durfte diesbezüglich eine schöne Kindheit an diesem Flecken verbringen, die Natur half mir schon als Kind über vieles hinwegzukommen, mit so manchem fertigzuwerden. Sie ist noch heute mein Quell der Kraft, der Inspiration, gibt mir immer wieder Antworten auf Fragen die das Leben an mich heranträgt.

Ich vergleiche vieles mit der Natur, das lehrte mich bereits mein Grossvater, der stets sagte: «Gaby, du brauchst keine Bücher, die dich das Leben lehren, es ist die Natur, sie lehrt dich alles, was du zum Leben brauchst. Schau einfach genau hin.»

So pflege ich heute Menschen die Probleme haben, eine wichtige Entscheidung zu fällen, sei es in Beziehungs- oder beruflichen Angelegenheiten, Folgendes zu sagen: Wartet bis das Wasser klar ist, so lange das Wasser aufgewühlt ist, könnt ihr nicht auf den Grund sehen, das Wasser ist trübe. Haltet Abstand, nehmt euch Zeit, geht nötigenfalls auf Distanz, wartet, bis sich all das Aufgewirbelte gelegt hat, das Wasser wieder klar wird, ihr auf den Grund sehen könnt. Wieder wortwörtlich klar sehen könnt. DANN erst könnt ihr Entscheidungen treffen.

In ganz schwierigen, schweren und belastenden Stationen meines Lebens nahm ich mir auch oft einen der zähesten Bäume zum Vorbild, die Arve (Zirbe) die in den unwirtlichen Bergen überlebt. Ich sagte mir: Und wenn der gewaltigste Sturmwind aufkommt, Blitze vom Himmel nieder zucken, eine Lawine herangebraust kommt, du, mein tapferer Baum, kannst auch nicht einfach deine Wurzeln aus der Erde reissen und davonlaufen. Du musst es durchstehen, die Probleme lösen, nicht vor ihnen davonlaufen und du wirst es auch dieses Mal schaffen. Vielleicht mit ein paar Ästen weniger, wenn eine Geröll- oder Schneelawine über dich hinweggefegt ist, aber du wirst wieder neu austreiben, wie du das immer machst und dein Holz wir mit jedem Mal zäher und widerstandsfähiger.

Ups, jetzt bin ich ein wenig OT wie man heute so schön sagt, vom eigentlichen Thema dieses Beitrags abgewichen. Aber ja, die Kindheit prägt uns, so ist es. Die schönen Erinnerungen behalte ich, die anderen kann ich zwar nicht vergessen, aber ich gebe ihnen schon lange keinen Raum mehr in meinem Leben. Es gibt da schliesslich so viel Schönes, Gutes, das mir in meinen Kindertagen mit den Grosseltern widerfahren ist, dass es all das andere verblassen lässt.

Ich wollte nie jemand werden, der im Alter in Bitterkeit zurückschaut, nun zumindest das habe ich doch schon geschafft. Zu einem sehr grossen Teil habe ich das auch der Natur zu verdanken, wenn nicht sogar mein Leben.

Ein Kommentar bei: “Kindheitserinnerungen – Leben auf dem Bauernhof

  1. Vielen Dank für diesen wunderschönen, sehr persönlichen und offenen Text!
    Kann dir in vielem zustimmen.
    Schön, wenn wir es schaffen, uns nicht zu stark von unschönen Ereignissen in unserem Leben unterkriegen zu lassen.
    Ich wünsche dir auch weiterhin so eine positive Einstellung!
    Liebe Grüße Silke

    1. Herzlichen Dank, liebe Silke, für deine Rückmeldung, sie hat mich sehr gefreut. Ja, ist ein bisschen sehr persönlich geworden, aber es kam von alleine so in den Fluss beim Erzählen. Was soll’s, es zeigt, dass wir alle «unser Bürdeli» zu tragen haben. Ich wünsche dir alles Gute und grüsse dich herzlich, Gaby

  2. Liebe Gaby, gerade bin ich im Garten am
    „nachlesen „ deiner Bloggs und nun bei diesem berührenden Beitrag deiner persönlichen Erinnerungen angelangt!
    Herzlichen Dank für deine Einblicke in dein Leben… es liest sich wie in einem sehr stimmigen Buch mit Tiefgang, welches man nicht mehr auf die Seite legen möchte
    Herzliche Grüsse aus dem jetzt sehr trocken werdenden Naturgarten in Meierskappel.
    Sonja

    1. Liebe Sonja, ich sende dir einen herzlichen Gruss zurück vom Ricken SG, wo sich gerade ein Gewitter anbahnt. Vielen lieben Dank für deine Zeilen, sie haben mich sehr gefreut. Übrigens habe ich jetzt bereits zum zweiten Mal eine Wiesenschaumzikade mitten im Salat entdeckt, als ich ihn gewaschen habe.

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