
Auf den letzten Blüten meines Goldmohns seht ihr gleich zwei Schwebfliegenarten, oben eine Hainschwebfliege und unten vermutlich eine Scheinbienen-Keilfleckschwebfliege, besser bekannt als Mistbiene. Beide zählen zu den Wanderinsekten, die uns – wie Admiral, Taubenschwänzchen, Windenschwärmer oder Distelfalter – ebenfalls im Spätherbst in Richtung Süden verlassen. Vor dem grossen Flug über die Alpen heisst es für diese Schwebfliegen nochmals reichlich Pollen und Nektar tanken.
Aber auch Libellenarten zählen zu den Wanderinsekten.
Dieses Mistbienen-Quartett (Eristalis tenax) tankt auf dem Wiesen-Bärenklau am Waldrand ebenfalls nochmals auf, bevor es die weite Reise über die Alpen antritt. Mistbienen sind für Insektenverhältnisse recht kräftige Flieger. Bei Rückenwind können sie ein Tempo von bis zu 40 Kilometern pro Stunde erlangen, das haben Messungen gezeigt. Diese Schwebfliegenart zählte einmal bei Fangaktionen auf den Walliser Alpen zu den zweithäufigsten Schwebfliegenarten.


Die Hainschwebfliege (Episyrphus balteatus) hingegen zählt wohl zu den häufigsten Wanderinsekten. Allein über den Col de Bretolet im Unterwallis, einem Alpenpass, fliegen Schätzungen von Forschern zufolge jeden Herbst 60 Millionen (!) Schwebfliegen in Richtung Süden.
Für eine Hin- UND Rückreise ist dann aber ein Insektenleben doch zu kurz: Ein einzelnes Tier legt lediglich einen Teil der ganzen Strecke zurück. Am Etappenziel angekommen, paart es sich, legt Eier und stirbt. Der frisch geschlüpfte Nachwuchs setzt dann ein paar Wochen später in diesem Generationenprojekt die Wanderung der Eltern fort.
Wie eingangs erwähnt, zählt auch eine Libellenart zu den Wanderinsekten: Die Grosse Heidelibelle (Sympetrum striolatum). In sehr grosser Anzahl fliegt sie an manchen Tagen über die Alpenpässe Richtung Süden. Aber wo genau ihr Ziel liegt, das «wissen die Götter», es ist nämlich wie bei vielen anderen Wanderinsekten nicht bekannt. Überhaupt heisst es, die Erforschung des Insektenzugs stecke noch in den Kinderschuhen – und es gebe noch heute viel mehr Fragen als Antworten.
Seit ich das erste Mal davon hörte, dass es nicht zur Zugvögel sondern auch Wanderinsekten gibt, fasziniert mich dieses Thema und löst bei mir immer wieder Staunen aus. Ich zitiere dazu die Vogelwarte Sempach:
«Die bisherigen Messungen zeigen Erstaunliches: Von Frühling bis Herbst fliegen Milliarden Insekten vor allem in Höhen zwischen 100 und 500 Metern jeden Tag und jede Nacht über uns hinweg. Dieses Verhalten tritt in ganz Europa auf: Von Finnland bis Südspanien zeigen die Radarstationen hohe Insektenzahlen. Im Süden sind Insekten fast das ganze Jahr über aktiv, im Norden konzentriert sich das Geschehen auf die Monate Mai bis Oktober. Während im Frühjahr und Sommer eher kreuz und quer geflogen wird, ist die Richtung im Herbst eindeutig: Dann ziehen die Insekten fast konsequent nach Süden. Selbst Gebirge wie die Alpen oder das Meer stellen dann offenbar kein Hindernis dar. «
Allein im Mai 2025 hätten über eine Million Insekten auf nur einem Kilometer Küstenlinie das Mittelmeer von Afrika nach Europa überquert!
Es wird vermutet, dass der Wind und seine Richtung eine wesentliche Rolle beim Insektenzug spielt. Anscheinend suchen sich die Wanderinsekten Tage oder Nächte für den Zug aus, an dem der Wind in die gewünschte Richtung weht. Auch wurde festgestellt, dass im Zuge der Klimaerwärmung immer mehr Insekten weiter nördlich wandern.
Wer sich für das Thema Wanderinsekten interessiert, dem kann ich wärmstens den Besuch dieser informativen Seite der Vogelwarte Sempach empfehlen: https://www.vogelwarte.ch/de/news/reisende-insekten/